kirgistan

Reisereportage

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Kirgistan, hier fangen Träume an
Ich liege im Gras, der Himmel ist blau, in weiter Ferne höre ich Kinderlachen, ich
schliesse meine Augen, ich lasse mich fallen, die Kinder kann ich in Ruhe spielen
lassen, unbesorgt, es gibt ja nichts, einfach frei sein, ich spüre den Wind, meine
Haare bewegen sich, es ist still, ich halte inne, staune und bemerke – ich habe
nichts und ich bin begeistert!
Was brauchen wir alles für diese Reise?
Keine Impfung, aber Medikamente, gute Schafsäcke, Zelt, Luftmatratze, Kleidung
für warmes und kaltes Wetter, Windeln gibt es auch dort und das Visum ist vor Ort
erhältlich.
Flug gebucht.
In der Hauptstadt Bishkek gibt es nun noch einiges zu erledigen; wir brauchen ein
Mietauto, Kochutensilien, eine Landkarte, eine kirgisische Sim Karte, eine Schaufel,
damit wir uns immer unsere eigene Toilette schaufeln können, und die nötigsten
Essensvorräte.
Dafür gehen wir auf den Osh Bazar. Cédéric will immer noch mehr kaufen, hier noch
eine Emaille Schüssel, da noch ein Messer. Gemütlich schlendert er von Stand zu
Stand. Dean (4j) will vor allem im Pool schwimmen und reklamiert. Sein Bruder Juul
(2j) will eigentlich gerade gar nichts mehr, er legt sich auf den Boden und schreit. Die
Kirgisen bleiben stehen und starren uns an – Mist, kennen die das nicht? Ein Mann
bringt ihm eine Banane, zwecklos, eine anderer redet wild auf uns ein. Es hört sich
fast so an, als möchte er uns einen Exorzisten vermitteln.
Die Überreizung geht auch an mir nicht spurlos vorbei.
Im Hotel spielen die Jungs am liebsten frühmorgens Wrestling. An den Vorhängen
im Zimmer wird Tarzan-Klettern geübt und um die gedeckten Tische im Restaurant
spielen sie fangen. Höchste Zeit die wilden Löwen in die Freiheit zu lassen. Los
geht’s!
Die erste Fahrt führt uns bereits über einen 3000m hohen Pass. Oben angekommen
fängt die Hochebene an wo die Nomaden mit ihren Tieren leben. Unsere Kinder sind
begeistert und staunen. Sieht es doch aus, als wären alle Tiere frei. Wie zu
Indianerzeiten galoppieren die Pferde an uns vorbei. Stillstand!
Schon nach wenigen Tagen legt sich eine Ruhe über unsere Familie. Kein Fernseher,
keine Spielsachen, kein Internet, keine süssen Verführungen an jeder Ecke. Aber
dafür viel Zeit, Natur und Zwangslosigkeit, kein Überfluss, nur wir und Mutter Natur.
Wie wunderbar auf einmal Reis mit Karotten und Tomaten schmecken, wie dankbar
wir als ganze Familie für dieses Essen sind. Einfach leben im Jetzt und Hier. Unsere
Fantasie und die unserer Kinder erwacht, wir bauen ein Schiff aus Holz das wir
gefunden haben. Geschichten formen sich und werden euphorisch erzählt. Entzückt
beobachten wir Marienkäfer beim Schlüpfen und fangen behutsam Heuschrecken
ein.

Wir haben Zeit einander zuzuhören, kein Multitasking, unser Verstand ist nicht mehr
abgelenkt vom Rummel der Zivilisation und beginnt Neues zu sehen, Neues zu
spüren und zu registrieren.
Einfach aufatmen. Einfach sein in der Geborgenheit der Natur.
Die Kinder mit uns und doch ohne uns, alles ein bisschen stiller, wir brauchen
weniger Wörter und verstehen uns dabei besser. Die Liebe ist immer überall und hier
haben wir Zeit, dies wahrzunehmen.
Das grenzenlose Frei sein berührt mich, ich spüre es, eine Mischung aus Zittern,
Flattern, Wärme und Dankbarkeit.
Auf einmal wird das Mithelfen zum Spass. Wer darf die Wäsche waschen, wer stellt
das Zelt auf, wer kocht, wer geht Kräuter für den Tee sammeln, wer pumpt die
Luftmatratze auf? Die Grundbedürfnisse sind gedeckt und alle zufrieden. Unbemerkt
sind wir zu einer funktionierenden Einheit geworden.
Auf einer Hochebene auf 3200 M.ü.M. dürfen wir bei einer Kirgisischen Familie in
einer Jurte schlafen. Die Kinder untereinander freunden sich schnell an, trotz der
Sprachbarrieren. Das Leben dort ist rau, kalt und hart. Der Duft von saurer Milch
hängt in der Luft. Selbstverständlich arbeiten dort die Kinder überall mit, es gibt viel
zu tun mit den Tieren.
Die Jüngste mit ihren 4 Jahren darf es noch ein bisschen gemütlich angehen. Aber
auch sie ist schon sehr selbständig und es scheint, als könne sie ganz gut selber für
sich sorgen. Ganz nach dem Moto „Lasst die Kinder in Ruhe“. Während unserer Zeit
dort höre ich sie nie jammern und schon gar nicht quengeln.
Ich will ihr Leben in Kirgistan nicht schön reden, aber ist es nicht so, dass unsere
Überfluss-Gesellschaft mit all den vielen Freiheiten und Möglichkeiten uns das
Glücklich sein erschweren kann? Es fällt uns schwieriger Verantwortung für uns
selber zu übernehmen und somit ist die Frustrationsgrenze geringer. Klar ist alles
immer eine Frage der Einstellung und das Zufrieden sein kann jeder selber
bestimmen, egal wo und wie er lebt.
Auf jeden Fall möchte ich meinen Kindern ein Vorbild sein und statt ständig
rumzunörgeln einfach dankbar sein. Verantwortung für mein Handeln und meine
Gefühle übernehmen und mit viel Liebe mein Leben leben.
Ich bin fasziniert und hingerissen von der Landschaft und dieser Stille. Es ist wie im
Kino, die wilden Herden, die Lichtstimmungen am Himmel und über den Steppen,
kleine Kinder die alleine auf den Pferden galoppieren und das alles in einer für mich
fast ungreifbaren Ruhe.
Der Sternenhimmel nimmt mich mit auf eine Reise ins Unendliche. Die Bergseen
summen mir ein Lied von Schönheit. Die Wüsten lassen mich dankbar still werden
und die Berge bringen mich direkt zu mir, mit ihrer immensen Präsenz.
Die letzten paar Tage verbringen wir am Issyk Kul See – das kirgisische Meer. Wir
tanken Sonnenstrahlen, schwimmen nackt im See und erfreuen uns noch einmal
bewusst an der Freiheit in diesem unglaublich wunderbaren Land. Diese Reise mit
meiner Familie hat mich sehr berührt., tief in meinem Herzen.

Nach 14 Tagen geht es zurück in die Stadt, ich hatte nie Internet in dieser Zeit und
es kostet mich Überwindung mein Telefon anzuschalten und mich wieder von
Emails, Whatsapp und Erwartungen einnehmen zu lassen.
Weiss ich doch nun – hätte ich nichts, von alledem, ich wäre trotzdem begeistert.

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