freiheit trotz Familie
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Mit Kindern scheinen die Freiräume plötzlich winzig zu werden. Wie wir uns auch als Eltern wieder freier fühlen können.
Wir waren mal in Kirgistan, das ist nun schon eine Weile her, aber dieses Gefühl von Leichtigkeit, von Weite, von grenzenloser Freiheit ist bei mir immer noch sehr präsent. Wenn ich daran zurückdenke, öffnet sich mein Herz, es wird riesengross, und ich fühle mich stark, gross und frei.
Diese Landschaften, dieses endlose Nichts. Diese Stille und Vielfalt. Nur wir und die Natur. Das war eine unglaublich schöne Erfahrung. Es war aber nicht nur die Landschaft, die mich beeindruckte. Es waren unzählige Momente, die mich geprägt haben. Die Kinder dort, die sind einfach. Sie haben nicht viel, würden manche sagen, aber für mich haben sie eine Menge – sie haben Freiräume, unendlich grosse Freiräume. Keine vollgestopften Kinderzimmer mit Plastikspielzeug. Keine Eltern, die Bespassungsprogramme organisieren. Sie essen gerne das, was sie haben, sehr einfach und nicht ständig. Klar: Ein Kind einer Nomadenfamilie zu sein, ist bestimmt nicht immer nur lustig, es bedeutet auch anzupacken, mizzuhelfen und Verantwortung zu übernehmen, damit die Familie überleben kann. (Wäre doch eigentlich das normale, oder nicht?) Ich will es nicht romantisieren.
Aber der Aspekt der Freiheit hat mich so berührt, dass ich für mich entschieden habe, diese Freiheit und Freiräume auch mehr in unser Leben zu integrieren.
Ja, wir leben nicht in Kirgistan. Manche von uns wohnen Haus an Haus. Die Natur ist weit weg. Der einzige Freiraum ist vielleicht ein Spielplatz, mit vielen Regeln und Vorgaben. Schule und Hobby nehmen so viel Zeit in Anspruch, dass nicht viel übrig bleibt. Jedoch kann ich meinen Alltag auch ein bisschen «kirgistanmässig» gestalten.
Denn für mich fängt die Freiheit in mir selber an.
«Unsere Spielsachen sind begrenzt, und wenn wir freie Tage haben, fülle ich die selten mit Programm.»
Einer meiner liebsten Sätze ist: Lasst die Kinder in Ruhe!
Es ist für mich ein Gewinn, für sie ein Gewinn. Sie sollen selber Erfahrungen machen können. Ihre eigenen Erfahrungen. Und nicht meine! Es gibt Situationen, da bin ich echt froh, dass ich nicht in der Nähe bin. Kommt schon ab und zu vor, dass eins meiner Kinder mit Nasenbluten daher kommt. Ich habe ein gesundes Vertrauen in meine Kinder, manche sagen auch: «Du spinnst, du bist zu unvorsichtig, was wenn etwas passiert?» Zu eurer Beruhigung: Sie leben alle noch.
Ich bin gerne «Tabea» und nicht einfach (nur) «Mama». Ich stehe morgens nicht auf, um Lego zu spielen. Ich finde, das ist ihre Aufgabe – nicht meine. Sie sollen das machen, was sie glücklich macht, und ich kann das machen, was mich glücklich macht.
Unsere Spielsachen sind begrenzt, und wenn wir freie Tage haben, fülle ich die selten mit Programm. Oft lassen wir uns treiben und haben Zeit. Zeit, um aufmerksam zu sein. Dort zu verweilen, wo es uns hinzieht und weiter zu gehen, wenn wir bereit dazu sind. Ohne Hektik. Ohne Ziel. Einfach im hier und jetzt. Wir verbringen viel Zeit in der Natur, im Wald und in den Bergen. Ihr Freispiel gestalten die Kinder selber. Das Wort Langeweile habe ich, ehrlich gesagt, bis jetzt nicht oft gehört.
Wir pflanzen Gemüse, ernten zusammen und verarbeiten alles. Manchmal malen wir nackt im Wohnzimmer. Essen zum Frühstück Eis. Oder sie spielen einfach draussen. Alleine. Die Haushaltsarbeit ist auch ein grosser Teil unseres gemeinsamen Alltags. Denn erstens habe ich keine Lust, am Abend noch die Wäsche zu machen. Und zweitens sollen sie wissen, was das ist. Jedenfalls nichts, was nur die Mutter machen kann!
«Kinder sollen ihre eigenen Ideen verfolgen können.»
Für mich ist es wichtig, dass ein Kind von Anfang lernt, auf sich zu hören, seine Möglichkeiten erkennt und weiss, was es gerne macht. Ich gehe davon aus, dass dies am besten gelingt, wenn nicht alles schon vorgegeben ist. Wenn wir nicht ständig an unseren Kindern rumziehen, sie optimieren, verändern und füllen wollen. Also: Ich mag das auch gar nicht, wenn mich jemand anders haben will, als ich bin.
Für mich brauchen Kinder Platz zum Experimentieren. Sie sollen ihre eigenen Ideen verfolgen, sich austoben können, den Gefühlen freien Lauf lassen. Sie sollen auf Entdeckungsreise gehen. Zeit haben, sich auf Menschen einzulassen, die ihnen spannende Geschichten erzählen. Sie sollen gerne so sein wie sie sind. Sich an ihren Stärken orientieren. Und in den Himmel schauen.
Ich kann mich erinnern, dass mein ältester Sohn ins Tanzen wollte. Nachhause kam er ziemlich enttäuscht. «Die tanzen ja gar nicht», sagte er. «Die machen einfach das, was die Lehrerin vorgibt.» Er hatte sich vorgestellt, er könne durch den Raum tanzen zu toller Musik. Er hatte sogar die Socken eingepackt, damit er möglichst gut «rumzieben» konnte. Dazu kam es natürlich nicht.
Durch Freiräume, durch Nichtstun, durch selbstgewählte Erfahrungen lernen Kinder, in sich zu vertrauen, in ihre Ideen und in das Leben. Es stärkt die Widerstandsfähigkeit. Es macht stark, selbstbewusst und unabhängig.
Schaut euch mal die Kinder an. Sie sind bereits frei! Diese kindliche Unbeschwertheit ist doch einfach das Fantastischste, was es gibt. Dieser Enthusiasmus und die nie endende Energie. Das Staunen, die Ehrlichkeit, die Zeitlosigkeit und diese Freude. Und ja, diese Unkontrollierbarkeit, manchmal auch so anstrengend!
«Die Freiheit beginnt in meinem Kopf, in meiner Einstellung. Sie hängt nicht von äusseren Situationen ab.»
Wie oft sage ich «nein», einfach so weil ich das schon immer so gemacht habe? Wie oft mische ich mich ein und nehme ihnen die Möglichkeit, selber Ideen und Lösungen zu finden? Wie oft lasse ich mich nicht ein, mit ihnen zu verweilen, weil ich Pläne und Vorstellungen habe? Diese Vorstellungen und Erwartungen sind eh so dominant, und ich muss immer über mich selber lachen, wenn ich wieder realisiere, was ich nun eigentlich wie ein kleines Kind stur durchboxen will. Oder sie etwas Lustiges machen, naja, vielleicht halt auch Quatsch, und ich sie wie ein alte, doofe, Spassbremse zurechtweise – statt mitzulachen.
Wie oft hemmt mich irgendeine Angst, ein bisschen mutiger zu sein? Wie oft schmolle ich und bin irgendwie sauer, obschon alles eigentlich schon wieder vorbei ist? Die Kinder leben immer im Hier und Jetzt. Und von den Kindern können wir ganz schön viel lernen.
Alles fängt bei mir selber an. Wie viele Freiräume ich meinen Kindern (und mir selber) lassen will oder kann. Wo die eigenen Begrenzungen, Unsicherheiten und Ängste sind. Es gibt diese Nächte, da sind wir zu fünft in unserem Bett. Freiraum gleich null. Ich habe da diese Arbeit vor mir, die überhaupt nicht frei ist und auch keinen Spass macht. Das Kind will seinen Freiraum anders planen als ich meinen. Oder es ist einfach ein richtig beschissener Tag.
In den vergangenen Jahren habe ich gelernt, dass die Freiheit in meinem Kopf, in meiner Einstellung beginnt. Die Freiheit hängt nicht von äusseren Situationen ab. Was aussen passiert, ist nicht so wichtig wie das, was ich dabei fühle oder denke. Der wertvollste Augenblick meines Lebens ist der, den ich gerade lebe. Wie weit dieser Augenblick gut oder schlecht ist, hängt nur davon ab, was ich darüber denke. Ich habe immer die Wahl mich zu entscheiden. Und zwar nicht nur was ich denke. Auch wie ich mein Leben gestalten will.
Zum Beispiel: Soll ich mich stressen und auch eine riesige Geburtstagsparty für meine Kinder veranstalten (weil das ja alle so machen), oder lasse ich das sein?
«Wir berauben uns ganz oft selber unserer Freiheit und Möglichkeiten.»
Fällt es dir leicht, nichts zu tun? Einfach so zu sitzen und in den Himmel zu starren? Und zu lauschen, was die Wolken erzählen? Denn sie lachen und sagen, wir sind so glücklich, einfach Wolken zu sein. Wir brauchen uns gar nicht anzustrengen.
Hast Du Zeit für Dich alleine? Was macht Dir Spass? Kannst Du frei tanzen (ohne Alkohol, haha)? Probierst Du neue Dinge aus? Hörst Du auf Deine Intuition? Denkst Du oft darüber nach, was andere denken? Hörst Du Deinen Kindern zu? Schaust Du den Menschen in die Augen? Kannst Du auch einmal etwas, was du immer schon gleich gemacht hast, anders machen? Vertraust Du?
Es braucht Zeit, um nach innen zu gehen. Um wieder frei zu werden. Für alle, die es gerne wollen: Freisein ist Übungssache. Nichtstun auch. Wir berauben uns ganz oft selber unserer Freiheit und unseren Möglichkeiten.
«Wenn es mir gut geht, habe ich auch viel mehr Zeit, Kraft und Ruhe für meine Kinder, meinen Mann und die anderen Menschen und Lebewesen um mich herum.»
Wenn ich weiss, wer ich bin und was mich begeistert, bin ich nicht dauernd von äusseren Impulsen abhängig. Mir ist es wichtig, dass ich Freude weiterverschenken kann, und das funktioniert viel einfacher, wenn ich selber zufrieden bin. Wenn es mir gut geht, habe ich auch viel mehr Zeit, Kraft und Ruhe für meine Kinder, meinen Mann und die anderen Menschen und Lebewesen um mich herum.
Wenn ich still bin, kommen mir immer die besten Ideen und Gedanken. Wenn ich Zeit habe, Zeit für mich alleine, werde ich ruhiger und gelassener. Immer wieder stelle ich mir tagsüber die Frage: Wie geht es mir? Will ich da sein, wo ich gerade bin? Wohin fliesst meine Aufmerksamkeit?
Ich stelle ich mir vor, ich wäre in Kirgistan, ich fühle die Weite in meinem Herzen, das Kribbeln in meinem Bauch, eine Mischung aus Zittern, Flattern, Wärme und Dankbarkeit und weiss, die unendliche Freiheit ist in mir bereits vorhanden.